Megastrukturen verkörpern sensible Giganten, deren Planung viel Feingefühl und Kommunikation erfordert. Der Blick in die späten 1970er Jahre lässt keinen Grund zur Hoffnung, dass die Großbauten noch einmal Einzug in die heutige Stadtplanung finden. Ich versuche mich dennoch – 50 Jahre später – mit meinem Entwurf erneut an einem Prototypen. Ich möchte aufmerksam machen, dass moderne Megastrukturen gerade heute eine zukunftsweisende Stadtplanungsoption darstellen. Nachhaltigkeit, Ressourcenschonung, Flächenoptimierung, Nachverdichtung, soziale Durchmischung und Multifunktionalität sind nur einige der Kenngrößen, welche die Stadt in einem Haus zukünftig vereinen kann. Ich mache mir das „Scheitern“ der Großstrukturen zunutze, indem die Kritikpunkte als Inspirationsquelle für meinen Entwurf dienen.
In einer Stadt wie Stuttgart prallen Welten aufeinander. Neben einem urbanen Gefüge mit hoher internationaler, sozialer, religiöser und kultureller Durchmischung zeichnet sich die Stadt durch zahlreiche Entwicklungsgebiete aus. Großes Potential birgt die Stadt auch am Ufer des Neckars, wo im Zuge der IBA’27 – welche genau 100 Jahre nach Entstehung der Weissenhofsiedlung wieder stattfindet – versucht wird, die Innenstadt mit dem angrenzenden Stadtteil Bad Cannstatt zu verbinden. Der Zugang zum Neckar ist durch unzählige Gewerbegebiete, Arbeiterquartiere und ein Straßen-/ Schienenverkehrsnetz seit dem 19. Jh. fast unmöglich. Erst in den letzten Jahren veränderte sich das Verhältnis der Stuttgarter*innen zum Neckar. Der Fluss wird immer mehr als Teil der Stadtlandschaft wahrgenommen und die damit einhergehenden Qualitäten für die Stadt neu entdeckt. Das Streben nach einer grünen Großstadt mit gut erreichbaren Freiräumen kommt dem Neckar zugute.
Vorrangiges Ziel der Masterarbeit ist es, negative Auswirkungen der Stadtentwicklung wie die Gentrifizierung oder flächenversiegelnde Urbanisierung zu minimieren. Essenziell für das Funktionieren der produktiven Stadt stellt neben der Verkehrsplanung eine stimmige Balance der Bebauungs- sowie Flächennutzung dar, welche sich mit der Abstimmung von privat, kommerziell und öffentlich genutzten Bereichen befasst. Genannte Parameter finden ihren Höhepunkt in einem verdichteten und durchmischten Gefüge – der Megastruktur: Dieser autarke Baukörper stellt (herkömmlich) horizontal angeordnete Stadtstrukturen in Frage und versucht alternativ ein lebenswertes Miteinander von Wohnen und Arbeiten anzubieten. Dies bedingt, dass der Fußabdruck des Entwurfs (ohne Qualitätsverlust) auf ein Minimum reduziert wird. Um die Baumasse des sensiblen Giganten so effizient wie möglich zu verteilen, macht sich der Entwurf bestehende Gegebenheiten zu Nutze und fügt sich in die umliegende Umgebung der Stadt Stuttgart (Gaskessel, Wasen, Stadion, Porsche Arena, Industrie) stimmig ein: Das 1,8 km lange, 32,6 m breite und 75 – 82 m hohe Gebäude positioniert sich direkt über der bauplatzprägenden Bundesstraße (B10/14). Es vermittelt somit zwischen neu geschaffenen Parkanlagen, Freizeitflächen, Anbauflächen und attraktiven Aufenthaltszonen am Neckarufer. Dieses Naherholungsgebiet fungiert als städtebauliche Erweiterung der Parkanlagen Villa Berg, Schlossgarten und Rosenstein (dem sogenannten „Grünen U“). Die Gebäudekontur folgt dem Verlauf des Neckars und entschärft die derzeitig vorhandene Barriere (B10/14) zwischen Stadt und Fluss. Um einem Verlust der Individualität innerhalb der geplanten Megastruktur entgegen zu wirken, ist die Fassade von einem rhythmischen Raster geprägt und verleiht dem großen Volumen Ruhe. Im Inneren hingegen ermöglicht das Tragwerk eine flexible und offene Grundrissgestaltung, welche mittels einer Grundrissfibel einen Pool an Wohnungsgrundrissen bereitstellt. So entsteht ein identitätsstiftender, (nutzungs- und sozial-)durchmischter sowie lebendiger Stadtteil, der ausreichend Platz für das gemeinschaftliche Leben bietet, aber auch dem Wunsch nach privatem Rückzug gerecht wird.