Die Idee der Großform • Eine neue Sicht auf das Werk des Architekten Oswald Mathias Ungers und die Frage nach einem möglichen Entwurfswerkzeug

Eva Sollgruber
2014-20
Dissertation

Dissertation Eva Sollgruber (2020)

 

Institut für Gebäudelehre, TU Graz

Gutachter*innen: Hans Gangoly (TU Graz), Sonja Hnilica (TU Dortmund)

304 Seiten mit 158 Bildern, Plänen und Diagrammen

Deutsch

 

 

Oswald Mathias Ungers war einer der bedeutendsten deutschen Architekturschaffenden der Nachkriegszeit. Neben seinen realisierten Projekten hat er sich insbesondere mit seinen konzeptuellen Entwürfen und theoretischen Überlegungen einen Namen gemacht. Diese Arbeit liefert eine neue Interpretation seines Werks, indem seine Texte und Projekte der 1960er- und 1970er-Jahre hinsichtlich seiner Idee der Großform betrachtet und analysiert werden. Bei dieser Untersuchung wird die historische Forschung mit Methoden der Entwurfsforschung verbunden, sodass die Ergebnisse auch für die Entwurfspraxis und -lehre aufschlussreich sind.

Die begriffsgeschichtliche Untersuchung der Idee der Großform liefert einen Überblick über die wichtigsten Aspekte des Großen in der Architektur – diese beziehen sich nicht immer auf maßstäbliche Ausdehnung – und belegt nicht nur, dass der Begriff der Großform schillernd und in sich widersprüchlich ist. Sie zeigt auch, wie es die gegenwärtige Praxis ist, den Terminus unnötig verkürzend ausschließlich zur Beschreibung großmaßstäblicher Gebäude zu verwenden.

Die Analyse von Schlüsseltexten über die Großform, die Oswald Mathias Ungers in den 1960er-Jahren verfasst hat, sowie deren Verknüpfung mit Texten und Projekten seiner ZeitgenossInnen – allen voran mit Mitgliedern des Team 10 – ermöglichen eine neue Sicht auf sein Oeuvre. Die Großform ist bei Ungers weniger eine Bezeichnung für eine bestimmte Art von Gebäude, als viel mehr Ausdruck eines Entwurfswerkzeugs, das in seiner Vielschichtigkeit Ungers’ Entwurfsdenken antreibt. Die Untersuchung der Ungers’schen Idee der Großform ermöglicht es einerseits die Prinzipien, die hinter dem vagen Begriff stehen, zu präzisieren und andererseits eine neue Perspektive auf Ungers’ Schaffen zu formulieren. Das Ergebnis ist eine fundierte Darstellung der Prinzipien Form und Struktur: gängige Termini in der Alltagssprache der Architektur, die zwei völlig unterschiedliche architektonische Konzepte und Traditionen beschreiben und sich doch in der Idee der Großform bei Ungers treffen.

Die Analyse ausgewählter Projekte Ungers’ veranschaulicht, wie sich die zuvor geschilderten theoretischen Konzepte konkret in seinen Entwürfen wiederfinden. Die Ergebnisse werden mit Methoden der architektonischen Analyse gewonnen und in Form von Diagrammen und axonometrischen Zeichnungen dargestellt und vermittelt.

Die Forschungsarbeit zeigt auf, welch großes Potential in der historischen Analyse für die gegenwärtige Architekturpraxis liegt. Indem der wage Begriff der Großform präzisiert wird, können Entwurfsinstrumente formuliert werden, welche die Entscheidungsprozesse für das Entwerfen abseits von Beliebigkeit lenken können. Diese Arbeit ist darüber hinaus eine mögliche Antwort auf die wichtige Frage, in welcher Form die Architektur Forschung mit ihren eigenen Methoden und Werkzeugen betreiben kann.

 

Abb.: Das Amphitheater im 18. Jahrhundert (Stich von Jean Baptiste Guibert). In: https://de.wikipedia.org/wiki/Amphitheater_von_Arles#/media/Datei:ArlesGuibert.JPG (Stand 31.07.2020)